Tierethik und Philosophie : Arthur Schopenhauer

Wenn ein Philosoph zum Thema Tierethik zu nennen ist, so ist es Arthur Schopenhauer, denn er war wohl der erste bedeutende westliche Philosoph der Neuzeit, welcher der Tierethik einen wichtigen Platz in seiner Philosophie einräumte. Ein Beispiel hierfür ist Schopenhauers Preisschrift über die Grundlage der Moral, die eine sehr tiefe Begründung für Ethik, und zwar ausdrücklich auch für Tierethik, enthält. Dort schreibt Schopenhauer :

“ Die von mir aufgestellte moralische Triebfeder (das Mitleid)  bewährt sich als echte ferner dadurch, dass sie auch die  T i e r e  in ihren Schutz nimmt, für welche in den anderen Europäischen  Moralsystemen so unverantwortlich schlecht gesorgt ist.“

Zu diesen von  Schopenhauer getadelten Moralsystemen gehört die abendländische  Philosophie. Seit Schopenhauer gewinnt jedoch die Tierethik in der westlichen Philosophie zunehmend an Bedeutung.  So gab kürzlich der Reclam-Verlag „Texte zur Tierethik “ heraus. Diese sehr lesenswerte Publikation, die von der „Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz “ gefördert wurde, enthält zahlreiche interessante Beiträge, die – so der Verlag – „einen repräsentativen Überblick über die gegenwärtige philosophische Debatte um die moralisch angemessene Behandlung von Tieren ” bieten.

Bereits in der Einleitung zu diesen Texten weist die Herausgeberin Ursula Wolf, Professorin für Philosophie, auf Arthur Schopenhauer und seine Mitleidsethik hin (S. 17 f.). Noch ausführlicher zu Schopenhauer ist der Beitrag von Josephine Donovan ( S. 105 ff.). Entsprechend seiner Überschrift „Aufmerksamkeit für das Leiden. Mitgefühl als Grundlage der moralischen Behandlung von Tieren “ wird Schopenhauers Tierethik anhand von Zitaten aus der oben erwähnten „Preisschrift“ erläutert. Dabei kommt auch, was Tierethik angeht, der fundamentale Gegensatz zwischen Schopenhauer einerseits und dem von ihm ansonsten hochgeschätzten Kant andererseits zum Ausdruck. Für Kant, aber auch für Hegel waren ja, wie an anderer Stelle der „Texte“ (S. 201) durch Zitate belegt wird, Tiere nur Sachen. Somit steht Schopenhauer mit seiner höchst positiven Tierethik den im Grunde tierherabsetzenden Auffassungen  von zwei der weltweit bedeutendsten Philosophen, nämlich Hegel und Kant, diametral gegenüber. Zwischen diesen Standpunkten liegt ein Abgrund, der wohl unüberbrückbar ist.

Die Textsammlung enthält auch einen Beitrag von Dieter Birnbacher, nämlich Lässt sich die Tötung von Tieren rechtfertigen? Arthur Schopenhauer ist darin (S. 212 ff.) nicht erwähnt. Das mag gerade bei diesem Verfasser etwas verwunderlich erscheinen, denn Birnbacher, Professor für Praktische Philosophie, veröffentlichte vor einiger Zeit in der Reclam-Reihe  „Grundwissen Philosophie “ eine Darstellung zu Schopenhauer und seiner Philosophie. Dort (S. 125 ff.) stellt Birnbacher fest:

“ Die wichtigste und nachhaltigste Konsequenz, die Schopenhauer aus seiner Mitleidsethik für die Sozialmoral zieht, ist seine differenzierte Einbeziehung der Tiere in die Ethik …. Wenngleich im Einzelnen schwer einzuschätzen ist, welche Entwicklungen der schopenhauerschen Theorie und welche dem allgemeinen Wandel der Mentalität geschuldet sind, ist doch die historische Bedeutung von Schopenhauers Tierethik nicht zu unterschätzen. Schopenhauer hat die Idee des Tierschutzes zwar nicht erfunden. Das erste Tierschutzgesetz, …war bereits 1822 in England erlassen, Tierschutzvereine bestanden bereits in mehreren deutschen Städten (Schopenhauer gehörte 1841 zu den Mitbegründern des Frankfurter Vereins). Aber Schopenhauer hat diese Initiativen, indem er sie mit einer tragfähigen ethischen Grundlage ausstattete, entscheidend gefördert.“

Hierzu weist Birnbacher darauf hin, dass die Grundlage von Schopenhauers Tierethik dieselbe wie bei Bentham sei, nämlich die Tatsache, dass Tiere und Menschen Schmerzen empfinden würden, und somit die Leidensfähigkeit die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier sei.

In diesem Zusammenhang bringt Birnbacher ein ziemlich verkürztes Schopenhauer-Zitat, das, wenn man es ausführlicher wiedergibt, zeigt, dass Schopenhauer die Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier metaphysisch begründete:

“ Man muss wahrlich an allen Sinnen blind …sein, um nicht zu erkennen, dass das Wesentliche und in der Hauptsache im Tiere und im Menschen das Selbe ist und das, was beide unterscheidet, nicht im Primären, im Prinzip, im Archäus (in der Urkraft), im innern Wesen, im Kern beider Erscheinungen liegt ..“ (Zitat aus Schopenhauers „Preisschrift über die Grundlage der Moral „).

So liegt laut Arthur Schopenhauer die Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier zutiefst in ihrem innern Wesen angelegt. Wäre Schopenhauer ein theistischer Philosoph gewesen, so hätte er wohl – wie etwa im Hinduismus oder in einigen vorchristlichen Religionen – Mensch und Tier als äußere Erscheinungsformen des Göttlichen angesehen. Schopenhauer sah jedoch die Welt nicht als göttlich an, sondern als Manifestation eines > metaphysischen Willens . Demnach sind Mensch und Tier letztlich metaphysisch miteinander verbunden. Hierzu verweist Schopenhauer auf die in den altindischen > Upanishaden enthaltene Erkenntnis des > Tat twam asi ( Einzelseele = Weltseele ). Ich glaube, ein tieferes Fundament für Tierethik kann es nicht geben.
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5 Gedanken zu “Tierethik und Philosophie : Arthur Schopenhauer

  1. „Grosser Gott wir loben dich und preisen deine Werke“, singt das Christentum seit 1771. Dann verlassen die Frommen die Kirchen und beuten die Werke des besungenen Gottes aus. Diese Gotteslästerung gegenüber den Werken Gottes und damit gegen die Natur, die Tiere und Mitmenschen zeigt die menschliche Unfähigkeit, den Glauben mit der Praxis zu verknüpfen. Es ist aber auch bequemer, zu tun, was alle tun.

    Khalid

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      1. Nach meiner Sicht benötigen wir ein anderes Gottesbild.

        Eines ist klar: Eine schöpferische Kraft hat unser Universum in Milliarden Jahren geschaffen. Deshalb: Wir sind, weil wir sind.

        Ob diese schöpferische Kraft ein Bewusstsein hat, bejahen die Religiösen und verneinen die Atheisten. Für mich begehen beide eine Grenzüberschreitung. Es gibt für beide Behauptungen keine schlüssigen Beweise sondern ist Glauben des Einzelnen.

        Die schöpferische Kraft kreiert weiter. Sie ist aber weder allmächtig noch barmherzig usw. Diese Eigenschaftswörter sind Bilder des Menschen und diese Bilder widersprechen zB den zehn Geboten: Du sollst dir kein Bildnis machen.

        Bilder werden eben nicht nur durch malen oder meiseln sondern auch mit Worten gemacht.

        Wir Menschen wären hier auf Erden die Gehirne, Hände und Füsse, um die Natur, die Tiere und Mitmenschen zu schützen und die Schöpfung zu bewahren. Dieses Bewahren wäre wahrer Gottesdienst.

        Meine Sicht passt nicht in die Sicht der Religiösen.

        Khalid

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      2. Dass es eine „schöpferische Kraft“ gibt, halte ich für möglich, ja sogar für ziemlich wahrscheinlich. Diese, ich möchte sie lieber „kosmische Energie“ nennen, ist m. E. nicht nur schöpferisch, sondern auch zerstörerisch und letztlich für alles Leid verantwortlich.

        Im übrigen neige ich zu Arthur Schopenhauers Auffassung, wonach sich ein metaphysischer „Wille“ in allen Erscheinungsformen des Universums manifestiert. Wenn sich dieser „Wille“ nicht neu manifestiert – Schopenhauer bezeichnet das als „Verneinung des Willens“ – und mithin keine „Schöpfung“ stattfindet, ist das Leid beendet. Ähnliche Auffassungen finden sich in den „indischen“ Religionen, aber auch in der abendländischen Mystik. Jedenfalls ist meine Sicht eine völlig andere als die der bei uns vorherrschenden Religionen.

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      3. wie wir die schöpferische kraft benennen, ist unwichtig. Heute entwarf ich folgenden Text. Hier beschreibe ich das, was für mich wesentlich ist.

        Gerhard Ingold-Kaissa
        Eystrasse 46
        3422 Kirchberg
        gerhard.ingold@bluewin.ch

        034 445 06 79

        Kirchberg,

        Wegnahme der existenzsichernden Lebensgüter

        Existenzsichernde Lebensgüter

        Fruchtbares Land, fischreiche Gewässer, Bodenschätze und Arbeit oder Geld sind die existenzsichernden Lebensgüter.

        Wem gehören fruchtbares Land, fischreiche Gewässer, Bodenschätze?

        Sie gehören der schöpferischen Kraft, welche diese Grundlagen unserer Existenz geschaffen hat.

        Ob man diese Kraft als blindwirkende Energie oder als Gott bezeichnen will, ist ohne Bedeutung. Die schöpferische Kraft ist Besitzerin!

        Wegnahme

        Art. 139
        Diebstahl
        1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

        „bewegliche Sache“ und „Wegnahme“ („zur Aneignung wegnimmt“) sind auslegungsrelevante Gesetzesaussagen.

        Wie man diese Gesetzesaussagen auslegt, wird von der Auslegungstradition der Gesetzesgelehrten geleitet. Diese wiederum von ethischen Vorentscheidungen des Unterbewusstseins.

        Ethischen Vorentscheidungen des Unterbewusstseins

        – „Erster Satz unserer Nächstenliebe: Das Schwache und Missratene soll zugrunde gehen und man soll ihnen dabei helfen“ (Nietzsche)
        – „Die Schwachen benötigen Hilfe und nicht die Starken“ (Jesus, Matthäus 9,13).

        Nietzsches Forderung ist tierische Ethik pur, wobei Tiere barmherziger als Menschen sind. Während 6 Monaten, als ich unter einem verwilderten Hunderudel lebte, konnte ich die tierische Ethik beobachten. Vor Hunger rissen die starken Tiere den schwachen Tieren das Fressen aus dem Maul. Waren die starken Tiere satt, ließen sie jedoch auch die anderen Fressen. Anders der Mensch: Er rafft auch dann noch existenzsichernde Lebensgüter zusammen, wenn er längst schon satt ist. Er nimmt dabei fahrlässig, eventualvorsätzlich bis vorsätzlich in Kauf, dass andere Mitmenschen in der Folge Hungers verrecken.

        Anders würden sich Menschen verhalten, welche eine Gottheit nicht nur mit Lippen sondern mit Taten ehren würden.

        Folgerungen

        Wer eine schöpferische Kraft bewusst oder unbewusst hasst, hasst auch die Natur, die Tiere und die Mitmenschen. Diese Täter bestehlen in der Folge nicht nur den Besitzer der existenzsichernden Lebensgüter sondern nehmen auch den Tieren und Mitmenschen weg, was diese zur Existenzsicherung nötig hätten. Sie begehen dabei nicht nur Diebstahl sondern auch Todschlag bis Mord. „Wer heute hungers stirbt, wird ermordet“ sagt Jean Ziegler richtig.

        Es ist an der Zeit, „im Namen Gottes des Allmächtigen“ nicht nur als Lippenbekenntnis in der Präambel der Bundesverfassung zu haben, sondern die christliche Verpflichtung auch in der Gesetzesauslegung und Gesetzesfindung einfließen zu lassen. Dann würden meine Anzeigen gegen Masslose und gegen die Gesetzgeber, welche die Pauschalsteuergesetzgebung und das Bankgeheimnis geschaffen haben und erhalten, vor Gericht auch zur Verantwortung gezogen werden.
        Khalid gerhard.ingold@bluewin.ch

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